2010 - 1

Zeitspeicher - woodcuts
Die Fortsetzung der Druckgrafik mit anderen Mitteln

Susanne Walter ist Grafikerin. Genauer gesagt interessiert sie sich seit ihrer Ausbildung für die Druckgrafik. Eigentlich müsste man sie als Objektgrafikerin bezeichnen, denn es ist ihr gelungen, feinsinnig Wege zu ertüfteln, die traditionellen druckgrafischen Verfahren erfrischend umzunutzen und zu erweitern. Ihre Lösungen und Arbeitsergebnisse sind offensichtlich durchdacht, präzise umgesetzt ohne pingelig zu wirken und bieten einen kalkuliert ästhetischen Anreiz für die Nutzung der eigenen Denkwerkzeuge in unseren Hirnwindungen.

[...] Die Künstlerin geht des Öfteren in den Wald und sucht nach abgesägten Baumstümpfen, deren mehr oder weniger feuchte Schnittflächen sie mit Farbe einwalzt und abdruckt. Nicht jeder Stamm entfalte dabei Bildkraft. So sind diese Werke entstanden, bei denen die in scharfem schwarz-weiß Kontrast abgedruckten Strukturen von Risswunden und Sägespuren durchzogen sind und auf zu Flachpodesten zusammengeleimten MDF-Platten aufgezogen würden, die weißchangierend grundiert sind und später an die Wand gehängt werden.
Die abgedruckte Fläche wird dabei um die Kanten gelegt und suggeriert im ersten Moment eine dreidimensionale Wiedergabe der Oberfläche, aber es erweist sich, dass auch hier eine Strategie der künstlerischen Überarbeitung wirksam ist, die bei näherem Hinsehen den Eindruck betont, dass hier die Naturvorlage in einen ästhetischen Wirkraum eigener Potenz übertragen wurde. Das ist nicht übernommen, sondern gesucht, gemacht, betont und bewusst gestaltet, ohne all zu sehr in die Fundstruktur einzugreifen. Die Form des Abdrucks stellt einen Ausschnitt dar, der in seiner Außenkontur nicht ein lebendiges Nachbild des Baumstumpfes suggerieren will, sondern nur die lebendige Spur der zufälligen Wuchsform und ihrer Bearbeitung aufzeigt, die zudem ohne gewöhnliche harmonisierende Kompositionsschemata behandelt wird. Der Widerspenstigkeit von Figur und Grund wird eher durch die Präzision und Reduziertheit der Ausfertigung kompositorisch gebändigt.

[...] Bei diesem Formfindungsprozess geschieht nichts hastig, sondern alles überlegt. Dem Selektieren der Künstlerin folgt das Delektieren des Betrachters, der sich an den Formen erfreuen kann, die in Serien den Verlauf von Zeit sichtbar machen durch Stapelung, Schichtung, Durchrieb oder Jahresringe, die in ihrer geborstenden Restwertigkeit von Susanne Walter erpirscht und mit einer gewissen Kritik an den Wunden der Natur zu einer Formalchronistin des Alltags geworden ist...

Dr. Dirk Tölke, Kunsthistoriker